Seebrücke Gießen
Menschenrechte in Europa? Sind doch selbstverständlich!
Schauen wir genauer hin:
Europa ist ein Staatenverbund aus 27 Ländern. Um Mitglied zu werden,
müssen einige Auflagen erfüllt sein, wie z.B. wirtschaftliche Stabilität,
politische Stabilität, eine demokratische Gesellschaftsordnung, in der die Menschenrechte
gewahrt werden. Dann ist man als Land in diesem Staatenverbund
willkommen.
Ich möchte kurz diese verbrieften Menschenrechte in Erinnerung rufen:
1. Genfer Flüchtlingskonvention von 1954: 150 Staaten haben
sich dieser verpflichtet. Geflüchtete Menschen haben Anspruch auf Wohnung, Bildung, öffentliche
Fürsorge, Zugang zu Gerichten usw. Hier ist auch das NON-REFOULMENT
Gebot niedergeschrieben. (Grundsatz der Nicht- Zurückweisung in ein Land, wo
schwere Menschenrechtsverletzungen drohen).
2. Die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte (von 1953):
Das Recht auf Leben wird ausdrücklich proklamiert. Verbot der
Todesstrafe, Diskriminierung, Sklaverei, Folter und
menschenunwürdige Unterbringung ist hier u.a.
niedergeschrieben.
3. Das internationale Seerechtsübereinkommen ( Vereinte Nationen von
1994): „ Alle Küstenstaaten sind verpflichtet, in ihrem Seegebiet
die Rettung Schiffbrüchiger durch geeignete Mittel sicherzustellen. Dies ist
auch eine Verpflichtung an alle Schiffe und Besatzungen.“ Darüber hinaus
wurde beschlossen, die Sicherheit in küstenfernen Gewässern mit Schiffen,
Küstenfunkstellen und Rettungskoordinationszentren einzurichten. Es ist
festgelegt, dass die Menschen an einen sicheren Ort gebracht werden müssen.
Sie dürfen nicht zurückgebracht werden (push back), wenn sie dort
Gewalt und Verfolgung zu erleiden haben. (völkerrechtswidrige
Zurückweisung)
Ich fasse die wichtigsten Regeln, die Deutschland und Europa sich gegeben
haben, einmal zusammen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das deutsche Volk bekennt sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des
Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“
(Art.1 GG) Jede Person hat das Recht auf Leben. Jede
Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Niemand
darf Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen
werden. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit und
das Recht auf Asyl. Niemand darf in einen Staat abgeschoben,
ausgewiesen oder ausgeliefert werden, in der das Risiko der Todesstrafe,
von Folter oder einer anderen unmenschlichen Strafe oder Behandlung
besteht.
Will also ein Staat Mitglied in der EU werden, hat er diese Bedingungen zu
erfüllen, die Menschenrechte gehören unabdingbar dazu. Das bedeutet im
Klartext, dass die Staaten der EU die eigenen Kriterien zum
Beitritt nicht erfüllen.
Beispiel Seenotrettung im Mittelmeer: Es gibt keine staatliche
Seenotrettung. Das versuchen private Organisationen mit Spenden zu
meistern. Malta sorgt dafür, dass, wenn Schiffbrüchige in der maltesischen
Rettungszone aufgegriffen, zurück nach Libyen gebracht werden. (angeheuerte
Fischerboote). Um die Ostertage herum starben dabei 5 Menschen.
7 werden bis heute vermisst. In den letzten Wochen begaben sich sehr viele Menschen auf die
lebensgefährliche Route, obwohl kaum ein Rettungsschiff
unterwegs war. Von Ende Mai. - Anfang Juni kamen 337 Menschen
aus eigener Kraft von der libyschen Küste in Italien und auf Malta an.
Weitere 194 wurden auf See abgefangen und nach Libyen zurückgebracht. Eine
unbekannte Zahl ertrunken, man sichtete nur leere, schlaffe Schlauchboote.
Alleine dieses Jahr sind schon 340 Menschen ertrunken. Welche
Zahlen... Einem Boot wurde der Motor von der maltesischen Küstenwache
zerstört. Weil Alarme Phone dies aber erfahren hat, wurden sie
schließlich doch gerettet. (Alarmphone gibt es seit 2014. Freiwillige in
Europa, Tunesien und Marokko nehmen Notrufe an. Die Hotline wird über das
Internet und die Flüchtlingsorganisationen bekannt gemacht.)
Europäische Millionen fließen jährlich in die sog. libysche Küstenwache,
damit sie die Boote abfängt und zurückbringt. Diese Küstenwache besteht aus
unterschiedlichen Warlords, die sich den Namen Küstenwache gegeben haben, um
Geld von Europa zu erhalten. Hier sind Verknüpfungen zwischen Küstenwache
und Schleppern bekannt und nachweisbar. Die Finanzierung der
Grenzbehörden wurde auf Tunesien und Marokko ausgeweitet, da von dort
ebenfalls viele Menschen flüchten. Die Menschen werden von diesen sog.
Küstenwachen aufgegriffen, geschlagen und bedroht, um sie dann zurück in die
Folterlager zu bringen. Dort geht erneut der Kreislauf : Geld erpressen von
den Familien, die Geschundenen wieder auf ungeeignete Boote verfrachten, von
vorne los.
Frontex, der EU-Grenzschutz, ist 2019 in die Medien geraten.
Beamte haben immer wieder Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt und den
Menschen das Recht auf Asyl genommen, indem sie sie zurück über die Grenze
gebracht haben. Die Luftüberwachung von Frontex spürt Flüchtlingsboote auf
und leitet die libysche Küstenwache dorthin Dies ist mindestens
Komplizenschaft schwerer Menschenrechtsverletzungen, da die Menschen zurück
in die libyschen Folterlager gebracht werden.
Die vielen Toten im Mittelmeer, seit 2000 sind es ca. 40.000, sind
nicht wegen einer Naturkatastrophe gestorben, sondern infolge der
unmenschlichen, rassistischen EU-Politik.
Ich zitiere Carola Rackete, Kapitänin der sea-watch 3: „Bei der öffentlichen
Diskussion der Seenotrettung geht es nicht um das
Seerecht, sondern um Rassismus“
Der Balkan:
Die Situation auf dem Balkan wird schon nicht mehr wahrgenommen. Es
befinden sich zur Zeit etwa 8000 Menschen in der Region, die auf
der Flucht sind. Hier sterben Menschen in Serbien, weil sie auf ihrer Flucht
in der Donau ertrinken. Zehntausende hausen in Lagern in Zelten oder unter
freiem Himmel, sich selbst überlassen. Menschen, die über die grüne Grenze
von Bosnien nach Kroatien gelangen, wurden derart getreten und geschlagen,
dass sie häufig Knochenbrüche und schwere Wunden erlitten (Amnesty) . Auf
diese Weise werden täglich bis zu 300 Menschen mit Gewalt nach
Bosnien zurückgedrängt. Das Lager Vucjak außerhalb der Stadt Bihac (Bosnien)
steht auf einer Mülldeponie und ist ohne jegliche Infrastruktur und total
überfüllt. Tausende Menschen schlafen irgendwo im Wald oder auf den Feldern
oder am Straßenrand.
Zu Griechenland:
Hier ist offiziell Endstation für die flüchtenden Menschen. Jedoch statt
Schutz und Hilfe zu erhalten, werden sie in schreckliche Lager auf den
Inseln und auch dem Festland interniert und entmenschlicht. Sie bekommen
kaum Nahrung und Wasser. Die mangelhafte medizinische Versorgung wird von NGOs
geleistet, die in ihrer Arbeit behindert werden und selbst Gewalt ausgesetzt
sind. Der Zugang zu einem Asylverfahren dauert oft Jahre. Werden sie als
Flüchtling anerkannt, kommt es noch schlimmer. Sie werden von den Inseln
aufs Festland gebracht und erhalten dort weder Unterkunft, noch finanzielle
Unterstützung. Mit den bescheidenen Sprachkenntnissen bekommen sie auch
keine Arbeit. Ein 20 jähriger anerkannter Flüchtling aus Afghanistan „ Wir
wurden von der Regierung gezwungen, die Insel zu verlassen, aber ohne uns
eine Unterkunft zu geben. Als ob wir Tiere wären.“ Eine neue Variante, die
Flüchtlinge nicht auf europäischen Boden zu lassen, ist, die Menschen mit
Rettungsinseln aufs offene Meer zu ziehen und dann die Leine zu kappen. Auch
hier sorgt Europa mit Millionen für die Zementierung der Zustände und schaut
zu, wie Geflüchtete illegal und mit Gewalt in die Türkei zurückgeschoben
werden. Im März diesen Jahres hatte die griechische Regierung einfach mal
das Asylrecht außer Kraft gesetzt, weil über die offene türkische Grenze
innerhalb 24 Std. 900 Menschen Griechenland erreichten. Auch das ist illegal
und eine Menschenrechtsverletzung.
Menschenrechtsverletzungen gehören in Europa mittlerweile zur
Normalität. Helfen und retten ist nicht normal, das wird mit allen Mitteln
bekämpft. Die Organisationen werden drangsaliert, mit Gewalt bedroht,
kriminalisiert und mit neuen, unsinnigen Verordnungen lahmgelegt Europa
trägt eine große Mitverantwortung für die tödlichen Fluchtbedingungen. Ihre
Abschottungsmaßnahmen werden immer perfider. Die Schließung der Balkanroute,
mit Stacheldraht und Grenzzäunen, die Grenzschutzagentur Frontex, das
Grenzüberwachungssystem Eurosur, die die Überwachung der Außengrenzen mit
Satelliten, Drohnen und hochauflösende Kameras zu optimieren versuchen. Kern
der Bemühungen Europas (mit Milliarden von Euros) ist die
umfängliche Abwehr von Menschen auf der Flucht. Die katastrophalen
humanitären Auswirkungen dieser Politik bleiben allerdings für die
Öffentlichkeit unsichtbar. Das Leid der Betroffenen bleibt verborgen in den
Internierungslagern Libyens, abgezäunt auf den griechischen Inseln,
vergessen in der Wüste. Auch die vielen tausend Toten in der Wüste
hat Europa mitzuverantworten. Bezahlte Milizen sorgen für die Schließung
sicherer Routen, so dass die Menschen gefährliche, oft tödliche Routen
wählen. Diejenigen, die Europa erreicht haben, stoßen auf Ablehnung, sind
rassistischer Gewalt ausgesetzt und geraten hier oft erneut in Lebensgefahr
und werden getötet. Warum Menschenrechts-Konvention ? Warum Antifolter-Konvention ?
Grundrechte der europäischen Union ? All das ist das Papier nicht mehr wert,
worauf es gedruckt wurde. Seit Jahren fehlt es der Europäischen Union an
praxistauglichen Ideen, um ihre gescheiterte Asylpolitik zu retten – Um das
Sterben im Mittelmeer zu beenden, um die Gewalt an den Außengrenzen zu
unterbinden und um zumindest einen kleinen Rest jener humanistischen Werte
zu bewahren, auf die sich die europäische Flüchtlingspolitik einmal berief.
Doch wenn die europäischen Regierungen glauben, dass dieser kollektive
Rechtsbruch auch zur kollektiven Abstumpfung führt,haben sie sich gewaltig
geirrt. Es gibt Millionen von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die
nicht nur in der Seenotrettung oder in den Hotspots aktiv sind, sondern sich
hier um Ankunft und Betreuung kümmern. Es gibt mittlerweile über 160
Kommunen, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben (Gießen gehört seit
Anfang des Jahres dazu). Die sofort Menschen auf direktem Wege
aufnehmen wollen. Und es gibt auch einzelne Politikerinnen, die gegen den
Willen der eigenen Regierung oder Partei auf eine großzügige Aufnahme von
Asylsuchenden drängen
Wir als Zivilgesellschaft müssen den Regierenden die Menschenrechte, die
humanistischen Werte in Erinnerung bringen, denn diese gelten für alle
Menschen. Wir müssen weiterhin auf die Straße gehen, Petitionen einreichen,
moralische und auch finanzielle Unterstützung für die Organisationen
leisten, die für uns aktiv sind. Wir müssen ständig Druck auf unsere
Politikerinnen ausüben, dann kann sich etwas bewegen. Es ist höchste Zeit,
öffentlich Position zu beziehen.
Seien wir politisch, halten wir uns nicht raus.